Sehr geehrte Frau von der Leyen,
sehr geehrter Herr Seehofer,


auch wenn Corona alle anderen Dramen überdeckt und in den Hintergrund schiebt: Wir, zivilgesellschaftlich engagierte Bürgerinnen und Bürger aus Detmold, sind über das andauernde Elend in den griechischen Lagern und an vielen anderen Orten entlang der Außengrenzen der EU, an denen kein schutzbedürftiger Mensch sein sollte, empört.

In unserer Betroffenheit wissen wir uns mit Vielen in Deutschland einig. Wir fühlen uns als demokratische Europäer*innen bei jeder neuen Katastrophenmeldung des EU-Umgangs mit Migrantinnen und Migranten hilflos und beschämt, so zuletzt bei den Hiobsbotschaften über das alptraumhafte Flüchtlingslager Lipa in Bosnien, wo hunderte Menschen ohne Schutz und Versorgung tage- und wochenlang bei Regen, Schnee und Minusgraden im Freien ausharren mussten. Wir wissen, dass das Transitland Bosnien und Herzegowina (noch) nicht zur EU gehört, und wir haben die deutliche Kritik des EU-Sonderbeauftragten Sattler vernommen, der die Lage im Bayrischen Rundfunk als nach wie vor „inakzeptabel, unerträglich“ nannte. Vor allem jedoch ist moralische Kritik des EU-Sprechers an der feindlichen Ignoranz der bosnischen Politik zwar angemessen, aber unglaubwürdig: Während die EU in Richtung Bosnien den mahnenden Zeigefinger hebt, ignoriert sie seit Jahren, wie im angrenzenden EU-Nachbarland Kroatien systematisch Menschenrechtsverletzungen an Asylsuchenden verübt werden, die aus Bosnien kommend Asyl in der EU suchen.


Sie, Frau von der Leyen und Herr Seehofer, wissen sehr genau, dass Kroatien tausendfach Menschen gewaltsam durch illegale „Pushbacks“ über die EU-Außengrenze zurückprügelt. Sie kennen das moralische Desaster der EU-Flüchtlingspolitik.
Deshalb, und auch angesichts der katastrophalen Lager auf den griechischen Inseln, mutet etwa der Appell der EU-Innenkommissarin Ylva Johansson an die Verantwortlichen in Bosnien zynisch an: „Wir rufen die nationalen und lokalen Behörden in Bosnien auf, zusammenzuarbeiten, um diesen Menschen das Obdach zu geben, das sie verdienen.“ Das Obdach, dass die EU Geflüchteten auf den griechischen Inseln gewährt, ist, vom ersten Tag bis heute, menschenunwürdig und lebensgefährlich. Aus Ihrer Ankündigung, Herr Seehofer, nach dem Brand im Lager Moria auf Lesbos würde dort ein Vorzeigelager entstehen, geeignet auch als Muster für eine humane Unterbringung anderswo, ist bis heute nichts gefolgt. „Das neue Lager Kara Tepe ist offensichtlich nicht besser – im Gegenteil: Ärzte ohne Grenzen musste jetzt eine Tetanus-Impfaktion starten, weil Babys in nassen Zelten von Ratten gebissen wurden…Das sind entsetzliche Zustände – mitten in Europa“ so ihr Parteikollege, Minister Gerd Müller.


Dass laut Ankündigung im Camp Lipa jetzt beheizbare Zelte für die nach EU-Angaben etwa 1700 Menschen aufgestellt werden sollen, mag eine unmittelbar lebensrettende Maßnahme sein, die jedoch eine politische Lösung nicht ersetzen kann. Die Menschen, in Lipa und auch von den griechischen Inseln, müssen unverzüglich evakuiert werden. Sie stecken, perspektivlos und oft seit Jahren, buchstäblich im Dreck fest. Die EU hat 2016 die Balkan-Route gewaltsam geschlossen und den Türkei-Deal mit der Türkei eingefädelt und so zu dieser inakzeptablen Situation beigetragen.


Wir sind nicht naiv. Wir müssen davon ausgehen, dass die abschreckenden Zustände und vielfachen Menschenrechtsbrüche durch EU-Staaten und –Verantwortliche genau so gewollt sind. Tausendfaches Leid der Geflüchteten wird akzeptiert und produziert, um entwurzelte Menschen, die oft vor Krieg und Terror flohen, von Europa fernzuhalten. Jeder „Anreiz“, nach Europa aufzubrechen, soll durch unverantwortliches Elend in den Flüchtlingscamps unterbunden werden. Das für Flüchtlingsboote tausendfach tödliche Meer wird, oft in Zusammenarbeit mit kriminellen Milizen z.B. in Libyen, als mörderische Außengrenze funktionalisiert, für deren Dramen man sich nicht zuständig erklärt. Stattdessen werden lebensrettende NGOs auf dem Meer und in den Lagern behindert und kriminalisiert.


Sie, Frau von der Leyen und Herr Seehofer, tragen als Verantwortliche in der Europäischen Union bzw. in Deutschland Mitschuld an diesen Zuständen, wenn Sie diese nicht bekämpfen, sondern – teils aktiv – geschehen lassen. Zuletzt wurde sogar bekannt, dass Sie, Herr Seehofer, gegenüber dem Verkehrsminister aktiv für die Behinderung der zivilen Seenotrettung auf dem Mittelmeer eintraten. Deutschland mit seiner unheilvollen Geschichte, das mit dem 2. Weltkrieg die halbe Welt in Brand setzte und für Abermillionen Flüchtlinge verantwortlich war, sollte den politischen Mut haben, zu einer humanen Asylpolitik zurück zu finden. In Deutschland und auch in anderen Ländern gibt es Städte und Regionen, die bereit sind, Geflüchtete aufzunehmen – auch zusätzlich zur staatlichen Verteilquote. 200 deutsche Kommunen, auch Detmold, haben sich zu „Sicheren Häfen“ erklärt und wollen freiwillig mehr Menschen aufnehmen. Diese Bereitschaft wird von Ihnen, Herr Seehofer, bis heute mit der Floskel einer „europäischen Lösung“, die es bekanntlich nicht gibt und so nicht geben wird, blockiert. Dieses Mantra verschleiert die Tatsache eines humanitären und moralischen Scheiterns der „Wertegemeinschaft EU“, die bei Menschenrechtsverletzungen in autoritären Staaten oftmals laut protestiert, bei der Anwendung dieser Werte innerhalb eigener Grenzen aber systematisch versagen will. Wir fordern von Ihnen, jeweils auf den entscheidenden Ebenen Ihrer Verantwortlichkeit, die Aufgabe der zutiefst unmoralischen Abschottungspolitik, die Sie bislang federführend mittragen und umsetzen, und eine aktive Hinwendung zur Verteidigung und Umsetzung der elementaren Rechte der Geflüchteten, die in Europa Schutz suchen. Ein fortgesetztes Scheitern der Asylpolitik Europas an den selbst postulierten Grundlagen machte das „Friedensprojekt EU“, das mehr als eine Wirtschaftsunion sein will, obsolet. Kurzfristig fordern wir die Ermöglichung der sofortigen humanitären Aufnahme der Menschen aus den Elendslagern bei Lipa und von den griechischen Inseln durch die Kommunen und Bundesländer in Deutschland, die sich wie unsere Stadt Detmold hierzu bereit erklärt haben.

Hochachtungsvoll

Forum Offenes Detmold
gez. Albert Lange
Hangsteinstraße 20c
32760 Detmold

Seebrücke Detmold
gez. Walter Meutzner
Wittekindstr. 30
32758 Detmold

Flüchtlingshilfe Lippe e.V.
Lemgoer Str. 2
32756 Detmold