Detmold – Heute entschied das Landgericht Detmold in vierter Instanz im Prozess gegen einen Mitarbeiter der Flüchtlingshilfe Lippe e.V. mit einer Verurteilung zu 120 Tagessätzen à 25 Euro. Die Flüchtlingshilfe Lippe e.V. wertet das Urteil als sehr bedenklich und unverhältnismäßig hart.

Im Frühjahr 2018 soll der Mitarbeiter die Abschiebung eines Geflüchteten verhindert haben, indem er sich einem Polizeibeamten in den Weg gestellt habe.

Zuletzt hatte das OLG Hamm am 10. Dezember 2019 entschieden, dass die Handlung des In-den-Weg-Stellens-mit-ausgebreiteten-Armen als tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte (§ 144 StGB) zu werten sei. Der Tatbestand setze nach Auffassung des OLG weder einen Verletzungswillen, noch eine tatsächliche Körperverletzung voraus. „Diese Rechtsprechung erscheint im Hinblick auf die bürgerlichen Freiheitsrechte äußerst bedenklich“, kritisierte Sebastian Nickel, Verteidiger der Verhandlung. „Es steht zu befürchten, dass sich hierdurch Menschen von Protestaktionen und öffentlich geäußerter Kritik abschrecken lassen“, so Nickel weiter.

Zu dieser Einstufung durch das OLG kam es, weil die Staatsanwaltschaft nach dem Berufungsverfahren in Revision ging. Das Landgericht Detmold hatte den Mitarbeiter im Berufungsverfahren zu 90 Tagessätzen wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte verurteilt. Schon damals ordnete die Flüchtlingshilfe Lippe e.V. dieses Strafmaß für die vorgeworfene Handlung als unverhältnismäßig hart ein. Der Staatsanwaltschaft hingegen reichte dieses Urteil nicht aus: Sie forderte eine Freiheitsstrafe von 6 Monaten, auf Bewährung. In dem Handeln sah sie den Tatbestand des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte (§ 144 StGB) erfüllt und ging in Revision.

In der heutigen Verhandlung am Landgericht Detmold erhöhte Frau Schikowski, vorsitzende Richterin, das bisherige Strafmaß auf 120 Tagessätze à 25 Euro. Den Antrag des Verteidigers Nickel, die Prüfung des Sachverhalts wegen Verfassungswidrigkeit des §114 StGB an das Bundesverfassungsgericht zu verweisen, lehnte sie ab.

„Das Urteil hat mit der eigentlichen Handlung unseres Mitarbeiters nichts mehr zu tun“, so Andreas Zuckmayer, Vorstand der Flüchtlingshilfe Lippe e.V. So ginge es vielmehr um die juristische Auslegung des Begriffs ‚tätlicher Angriff‘. „Durch die sehr weite Auslegung des Begriffs durch das OLG erscheint der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit insgesamt nicht mehr gewahrt“, ergänzt Nickel.

„Wir erleben seit einigen Jahren eine immer härtere Abschiebepraxis, die humanitäre und rechtsstaatliche Grenzen vermehrt missachtet. Wir begrüßen es, wenn couragierte Menschen sich hiergegen einsetzen.“, erklärt Andreas Zuckmayer. Diese Solidarität war heute auch durch die Kundgebung vor dem Gerichtsgebäude zu sehen, welche durch antirassistische Gruppen angemeldet war.

Die Flüchtlingshilfe Lippe e.V. wurde 2005 gegründet und berät seitdem geflüchtete Menschen bei aufenthalts- und sozialrechtlichen Belangen in Lippe. „Dies werden wir weiterhin engagiert tun und stehen zu unseren Mitarbeiter_innen“, so Zuckmayer.